Bob Dylan wurde heute mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Eine Übersicht mit aktuellen Meinungen und Beiträgen dazu liefert diese Seite:
Übersicht mit aktuellen Meldungen zum Thema
Spontan fällt mir die zeitliche Differenz zwischen den Liedern, für die er gelobt wird, und der Auszeichnung auf. – Don’t Think Twice, It’s Alright – Wollte man sich da selbst loben? Oder ein Zeichen in Zeiten wie diesen setzen? Ist das überhaupt Literatur? Oder ist man dort einfach schwer von Begriff?
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Nostalgiepreis alternder Hippies in Stockholms Akademie? Ritterschlag für die Popkultur? Offensive gegen die politische Misere in den USA derzeit (Don & Hill)? Was ist mit dem Singer, wenn man den Writer derart krönt? Ist Dylan ohne Musik überhaupt vollständig zu beurteilen? Fragen über Fragen. Schade nur, dass es wieder keinen Preis gab für: Joan Didion, Don Delillo, P. Roth oder andere amerikanische Autoren, die schon lange im Gespräch sind. Und dass es diesmal ein Amerikaner sein sollte, war wohl schon vorab ausgemacht, wie ich einem Artikel von Richard Kämmerlings entnehmen konnte. Daher vielleicht jetzt BD, zumal sich die Entscheidungskriterien in der Jury verändert haben sollen (Aufweichung der U&E-Kunstgrenzen etc.). Der Buchhandel wird nicht amüsiert sein. Das Geschäft mit dem Nobeltitel fällt wohl aus. Die Plattenlabels könnten sich schon eher freuen. Aber gibt es heute unter den Jungen überhaupt noch Dylan-Fans? Alle anderen haben doch ohnehin schon alle LPs. Ich bin überfragt, da ich sowieso anders musikalisch geprägt wurde in meiner Jugend. War nie Hörer der sog. Counterculture-Singer-Songwriter, bin eher von der Klassik und vom Jazz imprägniert worden. Daher kann ich die „literarische“ Qualität der Dylan-Texte nicht beurteilen und auch nicht, ob diese Historisierung und Nobilitierung der Popkultur, wie sie in den Rezensionen fast durchweg gefeiert wird, eine richtige Einschätzung ist. Aber vielleicht bist Du ja berufener, oder Helmut, dem ich in einer Mail auch schon die obigen Fragen gestellt habe. Schön fand ich die Formulierung: Liederaturnobelpreis für Bob Dylan (Hamburger Abendblatt).
Gruß, Uwe
Immerhin: Wenn die Entscheidung mehr Fragen als Antworten produziert, war sie nicht ganz schlecht.
Wenn ich es richtig verstanden habe, hat er bei seinem ersten Konzert nach der Bekanntgabe des Preises kein Wort dazu gesagt. Wenn es primär um die Wertschätzung für vergangene Leistungen geht, kann ich kein Aufbruchssignal in dieser Entscheidung erkennen. Mit dem Abstand von Jahren zu urteilen und zu würdigen, das macht die Akademie doch schon immer so? Und die Frage, ob Liedtexte Literatur sind, ist eher akademischer Natur. Oder man macht es wie die Sprecherin der Jury Sara Danius. Sie hat entsprechende Nachfragen mit dem Verweis auf Homer und Sappho pariert.
Dylan hat, ähnlich wie Thomas Mann, aus vielen Quellen geschöpft – oder eben auch wie dieser kopiert. Im Zeitalter von copy und paste, Sampling und Remix ist das eine offensichtliche künstlerische Verhaltensweise. Die Qualität seiner Texte liegt für mich auf zwei Ebenen. Sie funktionieren ohne Wissen und Hintergrundinfos mit einer direkten Ansprache. Und schaut man genauer hin, erschließen sich auch andere Welten.
Liederaturnobelpreis ist nett!
Es sind schon einige Punkte angesprochen – und da sehe ich es wie Wolf: Ist doch interessant, dass es so was wie eine Diskussion gibt! – Sicher, es gibt unterschiedliche Blickweisen, aber ich konnte mich nicht, wie etwa auch einige im näheren Umfeld, darüber aufregen.
Ohnehin: Wie wird der Nobelpreis überhaupt wahrgenommen? – Wer kennt sich da aus, verfolgt es wirklich? – Doch wahrscheinlich ein eher kleiner Prozentsatz derjenigen, die sich teils meinungsstark äußern.
Ich hatte nun gehört, dass Dylan schon seit einigen Jahren auf der Liste des Kommitees stand.
Die Entscheidung mag überraschend sein – aber ist das das Schlechteste?
Und diese Scheidung von E- und U-Kunst, gut, auch darüber könnte man diskutieren, wofür soll sie gut sein, wofür braucht´s denn da harte Grenzen?
Ich bekam an dem Tag eine halb empörte Frage von einer Freundin, was ich von dieser Entscheidung hielte – ein anderer Freund hat sich über die Entscheidung amüsiert und kommentierte sie positiv. Er hätte einen Song-Text von Dylan für Abiturprüfungen verwendet.
Wenn eine Entscheidung polarisiert, hat sie schon etwas geleistet – und bereits Spannung für´s nächste Jahr erzeugt.
Was Wolf beschreibt, das schnellere, oberflächlichere Wahrnehmen der Texte – und die Möglichkeit des Vertiefens – gilt das nicht für nahezu (?) sämtliche Kunst?
Direkt zum letzten Satz von Helmut: Ja, wahrscheinlich oder zumindest für die Art, die mir gefällt.
Die aktuelle Meldung lautet, dass Herr Dylan sich bisher nicht zur Auszeichnung zu äußern geruhte und auch für das Nobel-Komitee noch nicht erreichbar war. –
Er gilt ja auch bei seinen Konzerten als wortkarg.
Die „Zeit“ Nr. 44 vom 20.10.2016 nimmt mit 2 Beiträgen auf S. 50 Bezug zu dieser Preisvergabe.
Stephan Wackwitz schreibt:
„Ich glaube, der tiefere Grund, dafür, dass er (Dylan, H.) mich (Jahrgang 1952) und viele andere meiner Generation unser ganzes Leben lang mit allem interessierte, was er gemacht hat (auch wenn wir es nicht verstanden oder anstößig fanden), besteht darin, dass Dylan das weithin sichtbare Exempel eines experimentellen inneren Lebens war.“
Axel Honneth spricht angesichts dieser Wahl in seinem Artikel vom Gefühl der „Gerechtigkeit“ angesichts aktueller politischer Umstände.
Er meint, Dylan hätte einer Generation aufgeschlossen „wie wir uns zukünftig zu dieser Welt stellen und uns in ihr verhalten sollten: Mit Distanz, aber ohne Verrat an unseren Bindungen, mit Sympathie für die Schlechtergestellten, aber ohne die auftrumpfende Gebärde des Besserwissens, mit dem Bewusstsein des Alleinseins, aber ohne die bedrückende Empfindung, damit allein zu sein.“
Jetzt kommt er doch nicht zur Preisverleihung – oder vielleicht doch? Hin und her geht es.
Was Honneth schreibt, klingt gut. Was in Dylan vorgeht, bleibt ein Rätsel, halten wir uns also an seine Musik. „Experimentelles inneres Leben“ – zielt das auf den Versuch ab, dort und vor allem innerlich zu leben? Oder geht es um Gestisches, das innere Leben im Gegensatz zum äußeren?